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Aktion 20.000: Murder at Midnight

Wenn es um sozialpolitische Projekte geht, fackelt die neue Bundesregierung nicht lange: Per Umlaufbeschluss wurde die Aktion 20.000 für arbeitslose Menschen über 50 Jahren mit Jahresbeginn über Nacht eingestellt. Die schwarz-blaue Bundesregierung entledigt sich damit eines von der ÖVP ungeliebten, aber höchst wirkungsvollen und billigen Instruments der Arbeitsmarktpolitik. Und zwar obwohl die Zielgruppe – Menschen über 50 Jahren, die länger als ein Jahr arbeitslos sind – bisher als einzige gar nicht von der sich verbessernden Situation am Arbeitsmarkt profitieren konnte. Damit folgt Schwarz-blau mehr der Ideologie, als einer sinnvollen und zielführenden Arbeitsmarktpolitik.

Menschen über 50 profitieren nicht vom Konjunkturaufschwung

Die Idee der Aktion 20.000 ergibt sich aus der Situation älterer arbeitsloser Menschen fast schon von selbst: Während die Zahl der arbeitslosen Menschen seit dem Sommer 2017 in so gut wie allen Gruppen zurückgeht, bleibt sie bei über 50-jährigen Menschen nach längerer Arbeitslosigkeit fast gleich. Waren im Jahresdurchschnitt 2016 etwas mehr als 44.000 Menschen über 50 Jahren länger als ein Jahr arbeitslos, so erhöhte sich diese Zahl im November 2017 auf knapp 46.000 Menschen. Quer durch alle Ausbildungssegmente und Berufe haben arbeitslose Menschen über 50 mit besonderen Problemen zu rechnen. Sie sind im Durchschnitt um 40% länger arbeitslos als unter 50-Jährige und mehr als fünfmal so lange wie unter 25-Jährige. Kommen zum Alter zusätzliche Faktoren hinzu wie etwa geringe Ausbildung, Wohnort außerhalb städtischer Zentren, gesundheitliche Einschränkungen oder sehr spezialisierte Berufserfahrung, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es gar keine Rückkehr in Beschäftigung mehr gibt. Über 40% aller Menschen gehen nicht als Erwerbstätige, sondern aus der Arbeitslosigkeit oder dem Krankenstand in Pension.
Die Arbeitsmarktstrategie des AMS greift bei dieser Gruppe einfach nicht: „Menschen über 50 brauchen selten Kurse mit Sesselkreisen oder Ausbildungen, sie brauchen vor allem Beitragszeiten für die Pension“, räumte ein AMS-Verantwortlicher ein. Und da setzte die „Aktion 20.000“ an: Jobs im gemeinnützigen und öffentlichen Bereich sollten kollektivvertraglich entlohnt zu 100% vom AMS finanziert werden. „Und zwar gegebenenfalls auch bis zur Pension“, so BeamtInnen aus dem Sozialministerium.

Aktion 20.000: Mehr Einnahmen als Kosten

Was da prima vista nach sehr hohen Kosten klingt, ist eines zweiten Blicks wert: Ein arbeitsloser Mensch kostete das AMS im Jahr 2016 inklusive Sozialversicherung durchschnittlich 17.400 Euro. Diese Leistung wird mit der Aktion 20.000 eingespart. Die Gesamtkosten eines Beschäftigungsverhältnisses mit einem Bruttoeinkommen von 1.600 Euro im Monat liegen bei 29.000 Euro im Jahr. Die Differenz von 11.600 Euro sind aber genaugenommen gar keine echten zusätzlichen Kosten, denn aus dem Beschäftigungsverhältnis werden pro Jahr knapp 9.700 Euro an Versicherungsbeiträgen und Abgaben sowie knapp 1.000 Euro an Lohnsteuer abgeführt.
Die eingesparten Leistungen des AMS von durchschnittlich 17.400 Euro pro Person und die zusätzlichen Einnahmen aus Steuern und Beiträge von zusammen 10.700,- Euro pro Person allein machen die Aktion 20.000 fast zu einem ökonomischen Nullsummenspiel mit hohem gesellschaftlichem Mehrwert für die Betroffenen. Ein Job der Aktion 20.000 verlangt der Republik alles in allem etwa 900 zusätzliche Euro im Jahr. Und selbst das beschreibt die Wirkung dieser Maßnahme nicht ausreichend, denn das verfügbare Jahreseinkommen der beschäftigten Person verdoppelt sich von etwa 8.700 Euro Notstandshilfe auf 17.700 Euro Erwerbseinkommen. Wären tatsächlich mit dieser Maßnahme 20.000 neue Jobs geschaffen worden, so hätte das die private Konsumnachfrage um etwa 175 Millionen Euro pro Jahr erhöht. Das entspricht ca. 3.200 weiteren, zusätzlich geschaffenen Jobs, für die wieder Steuern und Beiträge bezahlt würden und eine Arbeitslosenleistung eingespart werden kann.
Das alles wurde jetzt über Nacht abgedreht.

Experimentelle Arbeitsmarktpolitik als gesellschaftlicher Motor

Österreich konnte bereits zu Beginn der 1990er sehr positive Erfahrungen mit einem der Aktion 20.000 vergleichbaren Instrument machen: Mit der Aktion 8.000.
Neu geschaffene Jobs im gemeinnützigen Bereich wurden für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren mit zwei Drittel der Gesamtkosten gefördert. Die Aktion 8.000 fiel in eine Phase, in der zahlreiche gemeinnützige Projekte in den Bereichen Umwelttechnik, Verkehr, aber auch Menschenrechte, Pflege, Betreuung oder Kultur und Erwachsenenbildung ins Leben gerufen wurden und–  über die so genannte “experimentelle Arbeitsmarktpolitik” der Aktion 8.000 – eine Startfinanzierung erhielten. In der Folge wurden diese Projekte häufig in Unternehmen umgewandelt, sodass es viele der damals geschaffenen Jobs heute noch gibt.

1995 erzwang die ÖVP eine Einstellung der Aktion 8.000. Ihr war nicht recht gewesen, dass Mittel des AMS zur Förderung gemeinnütziger Vereine und Initiativen eingesetzt wurden. Die Mittel des AMS sollten ausschließlich zur Förderung von Wirtschaftsunternehmen eingesetzt werden, so die ÖVP damals. Und ähnlich argumentiert die ÖVP auch heute. Förderungswürdig erscheint der ÖVP nur, was sich einer klassischen Unternehmenslogik unterwirft. Und dazu zählen Vereine, gemeinnützige Initiativen, kooperative Strukturen, öffentliche DienstgeberInnen usw. alle nicht.
Sinnvoll ist das nicht: Tatsächlich neue Beschäftigungsfelder der Zukunft werden nicht von klassischen Unternehmen entdeckt und geschaffen, sondern in experimentierfähigen Umgebungen geschaffen.

Die Aktion 20.000 wurde gekillt, ehe sie noch Wirkung entfalten konnte. Sie hatte auch Fehler: Sie war zu bürokratisch und auf eine zu kleine Gruppe von Menschen beschränkt. Aber sie war ein Schritt in die richtige Richtung nicht allen sozial- und arbeitsmarktpolitisch, sondern auch gesellschaftspolitisch. Mit der Abschaffung der Aktion 20.000 verschlechtert die Bundesregierung nicht nur die Arbeitsmarktchancen von gut 45.000 lange arbeitslosen Menschen über 50 Jahren, sie verzichtet auch auf eine Konjunkturförderung und Einnahmen für das Sozialsystem und den Finanzminister. Und sie behindert die Entwicklung zukünftiger Beschäftigungsfelder.

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Lukas Wurz

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