„Materien-Datenschutz-Anpassungsgesetz 2018“ hieß die Regierungsvorlage, die am 20. April 2018 im Nationalrat diskutiert, und mit den Stimmen der Regierungsparteien beschlossen wurde. Das Gesetz hatte zu öffentlicher Aufregung geführt: Es sieht unter anderem vor, dass personenbezogene Gesundheitsdaten der elektronischen Gesundheitsakte ELGA mit einer Personenkennzahl versehen an private Unternehmen weitergegeben werden können. Zahlreiche Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren, darunter epiccenter.works*for digital rights, aber auch die Rechtsanwaltskammer oder der Datenschutzrat, hatten den Gesetzesentwurf schwer kritisiert. epiccenter.works*for digital rights schrieb etwa: „Diese Bestimmungen sind nicht mit der DSGVO konform und stellen Verletzungen des Grundrechts auf Datenschutz und des Rechts auf Achtung der Privatsphäre dar.“
Für den Gesetzesentwurf Stellung genommen hatten hingegen, was in einem Begutachtungsverfahren sehr untypisch ist, Pharmakonzerne wie etwa Bayer und die Lobbyorganisation der Pharmaindustrie, die Pharmig und der Fachverband der Chemischen Industrie.
In der ersten öffentlichen Aufregung hatte Gesundheitsministerin Hartinger-Klein erst gefordert, dann versprochen, dass keine ELGA-Daten weitergegeben werden würden. Dieses Versprechen konnte sie nicht halten: Das Gesetz wurde nicht mehr verändert. ELGA-Daten können weitergegeben werden. Der Verweis des Ministeriums, dass die Daten durch eine Personenkennzahl „pseudonymisiert“ würden, ist nicht geeignet, Sorgen zu nehmen. Nicht zuletzt der Datenskandal um Facebook und Cambridge Analytica hat deutlich gemacht, dass bereits sehr kleine Mengen spezifischer Daten auf konkrete Personen rückführbar sind und sehr konkrete Aussagen über Personen erlauben.
Noch am Tag vor Beschlussfassung des Gesetzes hatte Ministerin Hartinger-Klein, die übrigens dem Beschluss im Ministerrat zugestimmt hatte, versprochen, „dass es definitiv keine Freigabe für Elga gibt. Wie die Justizdaten müssten auch „Elga-Daten im Forschungsorganisationsgesetz ausgeschlossen werden. Diese sind zu schützen, und dafür stehe ich.“ Dennoch gelangte das Gesetz zur Abstimmung und wurde mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ angenommen.
Die ÖVP tat so, als ob nichts wäre und wiederholte regelmäßig ihren Grundsatz, nach dem es kein „Golden Plating“ geben dürfe, österreichische Gesetze dürften also nicht „besser“ sein, als es die EU-Vorgaben erzwingen. Keinen einzigen der ÖVP-RednerInnen störte dabei, dass sie quasi gegen einen besseren Schutz ihrer WählerInnen vor Datenmissbrauch argumentierten. Bei einigen scheint es so, als ob sie das gar nicht verstanden hätten, so unbekümmert geben sie zu, dass sie gegen besseren Datenschutz und besseren Rechtsschutz für die Bevölkerung seien.
Die FPÖ wiederum verzichtet in jeder Hinsicht auf sinnstiftende Beiträge, als mehrfach offenkundig wurde, dass sie genaugenommen gegen diese Gesetzesbestimmung seien , jedoch aus Koalitionsraison nicht anders könnten. Die FPÖ-Abgeordneten suchten ihr Heil in bewusster Themenverfehlung, die bisweilen ins Skurril-Peinliche abglitt: Etwa als das Gesetz zum Schutz der Zeitung „Falter“ präsentiert wurde.
Erstaunlich informativ waren einige Beiträge der Oppositionsabgeordneten, die wirklich Problemlagen deutlich aufzeigten und verständlich machten.
Alle Anträge der Oppositionsparteien wurden abgelehnt. Das Gesetz tritt mit 25. Mai in Kraft. Aller Voraussicht nach wird es nicht alt werden. Es ist naheliegend, dass es vom Verfassungsgerichtshof oder vom Europäischen Gerichtshof aufgehoben werden wird. Aber das steht alles in folgender zusammenfassender Debatten-Replik…
Als erster Redner beschreibt Peter Witmann, Verfassungssprecher der SPÖ, fast schon resigniert, die Geschichte des Gesetzesentwurfs, den er als „eines der bedeutendsten Gesetze in diesem Bereich, das in Österreich jemals verabschiedet werden wird“, bezeichnet und kritisiert das Verständnis der ÖVP von Verhandlungen: „Es ist schade, dass man bei diesem Gesetzentwurf nicht den Konsens gesucht hat, weil ja viele Teile auch von uns mitgetragen werden könnten. (…) Es ist schade, dass man zwar gesagt hat, man verhandelt, aber in der Verhandlung gesagt hat, alle drei Punkte, die wir in unserem Abänderungsantrag genannt haben, sind inakzeptabel. Das war eine kurze Verhandlung, aber es ist natürlich so, wie es ist. Nur: Wenn man will, dass eine Verfassungsbestimmung von der Opposition mitgetragen wird, dann muss man auch mit ihr verhandeln. Wir sind nicht von Kurz beeinflusst, und wir können noch selbstständig entscheiden, wo wir zustimmen und wo wir nicht zustimmen.“ Insbesondere fehlt ihm die Möglichkeit einer Verbandsklage, also der Möglichkeit von Datenschutzinitiativen, nicht personenbezogene Rechtsverfahren zur Klärung von Sachfragen zu führen: „Jetzt wissen wir, dass diese übermächtigen Konzerne, wie Google, Facebook und andere, alle Daten absaugen und letztendlich keine Schranken bezüglich der Verwendung dieser Daten kennen. Die einzige Möglichkeit, diesem Riesen entgegenzutreten, wären Verbandsklagen. Damit wären Leute, die sich mit Datenschutz beschäftigen und über intellektuelle wie auch rechtliche Expertise verfügen, in der Lage, diesen Konzernen Paroli zu bieten.“ Ohne diese Möglichkeit überlasse es die Bundesregierung „dem Einzelnen, der als Person klagen muss und dann nicht weiß, wie hoch das Kostenrisiko ist, nicht weiß, ob Facebook eine Kampagne in den sozialen Medien gegen ihn macht, wenn er klagt.“ Wittmann bringt einen Abänderungsantrag der SPÖ, der NEOS und der Liste Pilz zur Ermöglichung von Verbandsklagen ein.
Dem entgegnete ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl zuerst einmal mit einer pauschalen und mit dem diskutierten Sachverhalt nicht in Zusammenhang stehenden Beschimpfung von SPÖ-Klubobmann Christian Kern („Er macht nur mehr alles mies: schlechte Worte, schlechte Stimmung, keine sachliche Diskussion.“), um letztlich mehr oder minder nichts zu sagen. Völlig unerläutert und unausgeführt begeistert er seine Fraktion etwa mit dem Satz: „Die technologische Entwicklung in den letzten Jahren, die Globalisierung, die Offenheit der Daten erfordert von uns strenge Regelungen. Dass diese Regelungen richtig und gut sind, zeigt Facebook.“
Eine inhaltliche Feststellung erlaubt er sich doch: „Ich bin daher unserer Abgeordneten Eva-Maria Himmelbauer enorm dankbar. Sie hat das Gold Plating hinsichtlich der Datenschutz-Grundverordnung in Österreich verhindert.“ Auf Verständlich übersetzt: Er freut sich also darüber, dass die Gesetzesvorlage den BürgerInnen keinen besseren Schutz ihrer Daten ermöglicht, als es seiner Meinung nach die Datenschutz-Grundverordnung der EU (DSGVO) zwingend vorschreibt.
Claudia Gamon von den NEOS beginnt leicht verunsichert mit einem Bekenntnis zu Forschung und der Bedeutung personenbezogener Daten für die Weiterentwicklung medizinischer Standards. Es ginge aber bei der Gesetzesvorlage „auch darum, ein hohes Datenschutzniveau für alle Bürgerinnen und Bürger zu garantieren; auch das war hoffentlich ein wesentlicher Grundgedanke, vor allem der DSGVO. Diesem Ziel wird man aber mit diesem Gesetz nicht gerecht. Es gab zahlreiche Stellungnahmen mit Kritikpunkten der Datenschutzbehörde, des Datenschutzrates, zivilgesellschaftlicher Organisationen, wie Epicenter Works, die gar nicht oder nur teilweise, in sehr geringem Ausmaß in der Regierungsvorlage berücksichtigt worden sind. Darunter fallen unter anderem auch die Bestimmungen zu der Verwendung von personenbezogenen Daten. Wir haben noch viele andere Kritikpunkte zu diesem Gesetz, aber ich möchte mich heute auf zwei wesentliche Punkte konzentrieren, bei denen es nämlich darum geht, ob dieses Gesetz überhaupt DSGVO-konform ist. Es gibt viele Menschen, die das bezweifeln. Sollte es nicht konform sein, wäre das eigentlich eine Katastrophe.“ Unter anderem weist sie darauf hin, dass „das Ersetzen von Namen durch bereichsspezifische Personenkennzeichen einer Pseudonymisierung gemäß DSGVO gleichkommt.“ Das sei jedoch nicht der Fall. „Stellen Sie sich folgendes Beispiel vor, ich habe das im Ausschuss schon vorgebracht: Sie haben eine seltene Krankheit, es gibt nur ganz wenige Personen, die diese Krankheit haben, und jemand macht eine Studie darüber. Nur, weil ihr Name im Krankenakt nicht mehr drinnen ist, heißt das nicht, dass Sie nicht identifiziert werden können. Vielleicht gibt es in der ganzen Gegend nur eine Person, die diese seltene Krankheit hat und in die jeweilige Alterskohorte hineinfällt; dann kann man relativ schnell sagen, das ist Hubert aus dem nächsten Ort.“ Und genau das könne die gewählte Regelung nicht verhindern, zumal die Regierungsvorlage besagtem Hubert das Löschungsrecht, das er nach der DSGVO eigentlich haben müsste, vorenthalte.“ Aus diesem Grund, so Gamon mit Blick zu Minister Fassmann, würden die NEOS auch nicht zustimmen.
Herbert Werner von der FPÖ ist wesentlich ruhiger als Claudia Gamon, hat aber auch nicht wirklich viel zu sagen. Er wiederholt das Ziel, sogenanntes „Golden Plating“ (also einen besseren Datenschutz für die BürgerInnen, als aus der Verordnung zwingend abzuleiten ist) zu verhindern und begründet, warum er persönlich gegen die von der SPÖ, den NEOS und der Liste Pilz geforderten Verbandsklage ist. Er möchte nämlich nicht, „dass ein Verein, wenn auch in gutem Glauben und mit guten Absichten, mit meinem Präzedenzfall eine Verbandsklage gegen einen internationalen Konzern führt und ich damit in die Öffentlichkeit, ins Rampenlicht gezogen werde.“ Das ist zwar völlig unsachlich, weil Verbandsklagen per Definitionem allgemein und nicht personenbezogen sind, bleibt aber vorerst mal so stehen.
Alfred Noll von der Liste Pilz sieht einen „ordentlichen Pallawatsch, den wir da produzieren. Es geht ums Datenschutzrecht, es geht um ein Grundrecht, um eines der wesentlichsten Grundrechte der heutigen Zeit. Was hier im Haus jetzt droht, produziert zu werden, ist legistisch und in der Sache nicht gut, und ich glaube, alle, die sich damit befasst haben, wissen, dass es nicht gut ist. Trotzdem wird es mit der Mehrheit hier im Haus wohl beschlossen werden.“ Er führt in der Folge eine sehr kleinteiligen, aber offenkundigen Fehler in der Textierung des Gesetzes aus, nämlich den Bedeutungsunterschied in den Worten „jedermann“ in einer Paragrafengruppe und „natürlichen Personen“ in einem anderen Paragrafen des Gesetzes. Mit den Worten „Wollen Sie damit die ganze Judikatur ins Elend stürzen, indem Sie die hermeneutischen Künste unserer Richterinnen und Richter herausfordern, mutwillig herausfordern?“ bringt er einen weiteren Abänderungsantrag von SPÖ, NEOS und Liste Pilz zur Behebung der Begriffsverwirrung ein.
Eva Maria Himmelbauer von der ÖVP hat als Bereichssprecherin für Netzpolitik das Gesetz verhandelt und daher auch etwas zu sagen. Zumindest nach Auftreten und Stimmgewichtung. Inhaltlich ist dem aber nicht so. Es scheint aber nicht an Himmelbauer selbst zu liegen, sondern an der Rolle, die ihr im ÖVP-Klub zugebilligt wird: Sie darf ausschließlich den Inhalt eines Abänderungsantrags erläutern. Auf zwar ein wenig gemeine, aber doch sachlich korrekte Zwischenrufe des Abgeordneten Noll kann sie nicht eingehen. Der Abänderungsantrag war übrigens unter anderem deshalb notwendig geworden, weil sowohl SPÖ als auch NEOS für ihre Zustimmung zu einer Verfassungsänderung unter anderem eben eine Verbandsklagemöglichkeit gefordert haben. Die Verbandsklage war aber der ÖVP ideologisch so zuwider, dass sie auf die verfassungsrechtliche Absicherung des Gesetzes verzichtete (und damit dessen Aufhebung sehr wahrscheinlich macht).
Pamela Rendi-Wagner, Ärztin aus der Forschung, ist in der Realität die Hauptrednerin der SPÖ, die am klarsten und am zielgerichtetsen in der Lage ist, die Probleme mit der Regierunsvorlage auf den Punkt zu bringen und auch noch eine Art politisches Goal zu schießen. Aus persönlicher Erfahrung wisse sie, „wie wichtig systematische Gesundheitsdaten für die Forschung und natürlich auch wie essenziell sie für den medizinischen Fortschritt sind, aber auch essenziell für evidenzbasierte gesundheitspolitische Entscheidungen.“ Es habe viel an Überzeugungsarbeit gebraucht, um die Ängste der ÄrztInnen und der PatientInnen vor der elektronischen Gesundheitsakte ELGA zu nehmen. ELGA sei noch immer nicht bei den Menschen angekommen, weil diese noch keinen individuellen Nutzen erkennen könnten in dieser Aufbauphase. „und was macht die Regierung in genau dieser sensiblen Aufbauphase? Sie verunsichert die Ärzteschaft, sie verunsichert die Patientinnen und Patienten, indem sie Folgendes diskutiert und sogar weiter geht, sie schreibt es jetzt in ein Gesetz: Sie gibt Elgadaten für die Forschung frei. (…) Sie öffnet damit diese höchst sensiblen Daten nicht nur für Medizinische Universitäten, das wäre ja nicht das große Übel, nein, sie öffnet diese Daten für alle Unternehmen dieses Landes, die mit diesen Daten Forschung betreiben wollen, Forschung jeglicher Art. Damit wird ein historisch wichtiges Elgaprinzip verlassen, zu dem es immer einen überfraktionellen Konsens gab, von Beginn der Elgaentwicklung an, nämlich das der parlamentarischen Kontrolle – und das darf nicht sein.“ Für diese sehr konsequent aufgebaute Rede gibt es von allen Oppositionsparteien sehr viel Applaus. Und Rendi-Wagner erhält noch einmal sehr starken Applaus aller Oppositionsparteien, als sie Gesundheitsministerin Hartinger-Klein angreift, die es vorgezogen hat, zu dieser Debatte nicht im Parlament zu erscheinen (formal zuständig ist Minister Fassmann): Diese habe sich nämlich erst „ganz klar gegen die Elgaöffnung für Forschungszwecke“ ausgesprochen, um nur drei Tage später dem Gesetz im Ministerrat zuzustimmen. „Das“, so Rendi-Wagner, „ist ein Zickzackkurs, wie wir ihn in den letzten Monaten schon öfter erleben mussten. (…) Der wahre Schaden ist schon angerichtet. Die Menschen melden sich – und Sie können das zahlreichen Medien entnehmen – bereits jetzt von Elga ab, das Ausmaß ist nicht absehbar. Die Menschen fühlen sich verraten, und das zu Recht, wie ich meine.“
Den Verratsvorwurf kann Brigitte Povysil von der FPÖ, ebenfalls Ärztin, nicht auf sich sitzen lassen und formuliert ein wenig unfreiwillig witzig: „Es gibt von unserer Seite aus keinen Verrat, es gibt keinen Schaden, es gibt Sicherheit, nur Sicherheit für die Gesundheitsdaten. (…) Die Einzigen, die ununterbrochen, unaufhörlich Patienten verunsichern, sei es bei Elga, sei es beim UKH, bei der Versicherungsthematik, ist die Sozialdemokratie.“ Mit einem Geschichterl aus ihrer großen Lebenserfahrung kommt sie zwar ein wenig vom Thema ab, schafft es aber wunderbar, allen Sachfragen auszuweichen. Sie habe in Tokio den Watson-Computer kennengelernt. Dieses Programm habe einer Frau, die an einer seltenen Form der Leukämie gelitten habe, nach Übermittlung der individuellen Gesundheitensdaten konnten diese „mit 20 Millionen Krebsstudien verglichen. Innerhalb von 10 Minuten wurde die Diagnose erstellt, dass es sich um eine seltene Leukämieform handelt, und die Patientin konnte geheilt werden.“ Ob dieser Versuch, den BürgerInnen zu vermitteln, das vorliegende Gesetz würde bei ihnen selbst Ähnliches bewirken, wenn sie nur ihre Daten hergäben, darf bezweifelt werden. Selbst der FPÖ freundlich gesinnten Personen diese Rede und das Auftreten von Frau Povysil als eigenartig inszeniert vorgekommen sein.
Nikolaus Scherak von den NEOS redet sehr schnell und versucht, möglichst viel in seine Redezeit hineinzupacken. Der Gesetzesentwurf schließe nämlich das Widerspruchsrecht im Bereich des Innenministeriums pauschal aus. „Worum geht es bei diesem Widerspruchsrecht nach der DSGVO? – Es geht darum, dass eine Person bei an und für sich rechtmäßig verarbeiteten Daten im Nachhinein, wenn sie ein besonderes Interesse vorbringt, widersprechen kann, sie diese Verarbeitung auch stoppen kann. Das ist etwas, was die Europäische Union, das Europäische Parlament zum Glück mit der DSGVO beschlossen hat, und das wollen Sie hier pauschal ausschließen.“ Das Gesetz erfülle nicht die Mindestvoraussetzungen der DSGVO: „Der Europäische Gerichtshof wird irgendwann einmal sagen: Wir sind nicht auf dem Level, das die DSGVO vorsieht, wir verhalten uns nicht europarechtskonform! Das ist ein grundlegendes Problem.“
Theresia Niss, Forschungssprecherin der ÖVP, teilt das Schicksal weiblicher RednerInnen der ÖVP und darf gerade einmal einen Entschließungsantrag der Regierungsparteien zu den ELGA-Daten einbringen und begründen. Der Antrag ist insofern erstaunlich, als er die Gesundheitsministerin ersucht, sicherzustellen, dass bei der Weitergabe von ELGA-Daten „keine Rückschlüsse auf einzelne Personen gezogen werden dürfen“. Das ist aber nicht das Problem: Verboten ist das auch bisher schon, es ist nur nicht möglich, es technisch zu verhindern. Entschließungsanträgen kommt aber sowieso keine Rechtsverbindlichkeit zu. Da ist es also nicht weiter schlimm, dass der Antrag schlichtweg Augenauswischerei ist.
SPÖ-Abgeordneter Walter Bachner fasst die bisherige Debatte leicht polemisch zusammen: „Im vorliegenden Gesetz werden die Rechte der Menschen eingeschränkt, während der Zugang zu sensiblen Daten für die Unternehmen erleichtert wird. (…) Die Unternehmen haben Rechte, während die Menschen leider nur Pflichten haben.“. Davon ausgehend erklärt er den Unterschied zwischen einer Sammelklage und der von SPÖ, NEOS und Liste Pilz geforderten Verbandsklage: „Der wesentliche Unterschied zwischen Verbandsklage und Sammelklage ist jener, dass es bei der Verbandsklage nur um die Feststellung des Rechts geht, während es bei der Sammelklage tatsächlich um Schadenersatz geht.“ Wenn die Regierungsparteien dieses Recht, das auch in der DSGVO vorgesehen ist, den Menschen vorenthalte, so sei man „womöglich (…) hier aber auch Spendengebern verpflichtet.“ Da scheinen sich ein paar angesprochen gefühlt zu haben, denn die Aufregung bei der ÖVP war sehr groß. Bachner schloss mit der Feststellung, dass „eine Nichtumsetzung der Verbandsklage bringt primär Google, Facebook und Co etwas, nicht aber dem österreichischen Wirtschaftsstandort und schon gar nicht den betroffenen Menschen in Österreich. Und das kann nicht in Ihrem Sinne sein – in unserem ist es nicht!“
Wahrscheinlich unfreiwillig witzig war FPÖ-Abgeordneter Hans-Jörg Jenewein, der gleich zu Beginn einen Zwischenrufer attackiert: „Es ist immer wieder erheiternd, wenn man aus der letzten Reihe reinquakt. Vielleicht sollten Sie sich einmal Gedanken darüber machen, warum Sie in der letzten Reihe und nicht weiter vorne sitzen. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass das, was Sie bisher beigetragen haben, vielleicht nicht unbedingt dem Niveau entspricht, das eigentlich für das Hohe Haus angebracht wäre.“ Möglicherweise hatte Jenewein in der Aufregung vergessen, dass er selbst auf Sitz 126 in der vorletzten Reihe sitzt. Auch der Rest seiner Rede war eher peinlich als informativ. So behauptete er allen Ernstes, dass die Regierungsparteien mit dem Gesetzesentwurf Zeitungen wie dem Falter investigativen Journalismus ermöglichten, weil die bisherige Rechtslage es angeblich etwa dem Verein Atib ermöglicht hätte, die Publikation der in Moscheen aufgenommenen Bilder von Kindern in Militäruniformen zu verhindern: „Das macht investigativen Journalismus unmöglich, das macht Journalismus kaputt. Dagegen verwahren wir uns. Wenn Sie da heute nicht mitstimmen, dann sind Sie eigentlich auf jener Seite beheimatet, die den freien Journalismus und die freie Ausübung des Journalismus – und das ist ein wesentlicher Punkt unserer Demokratie – verunmöglicht beziehungsweise verhindert.“ Den Schmäh mit dem Übergang vom Bild mit Kindern in der Moschee über die verhinderte Berichterstattung zur SPÖ, die nicht bei dem Gesetz mitstimmt, hatte Jenewein in einer bierseligen Stunde vielleicht sehr lustig gefunden, etwa zur Kreation eines Anti-SPÖ-Arguments. Es scheint ihm jedoch entgangen zu sein, dass sein Beispiel seine Rede selbst als Blödsinn entlarvte: Der Falter hatte diese Bilder bereits vor der Gesetzesänderung publiziert. So wie Jenewein es darstellt, kann es also nicht sein.
Andrea Lueger von der SPÖ zitiert aus einer Wortmeldung der Gesundheitsministerin Hartinger vom Vortag, in dem diese versicherte, „dass es definitiv keine Freigabe für Elga gibt. Wie die Justizdaten müssten auch „Elga-Daten im Forschungsorganisationsgesetz ausgeschlossen werden. Diese sind zu schützen, und dafür stehe ich.“ Und fügte hinzu: „Was heißt das jetzt? Nehmen Sie Ihre Ministerin nicht ernst? Ist es egal, was sie sagt, oder tritt sie zurück?“ Das macht einige FPÖ-Abgeordnete ziemlich wütend. Und wütende Menschen brüllen manchmal ziemlich dumme Dinge. So zum Beispiel FPÖ-Kubobmann Rosenkranz, der der Rednerin mit einem Zwischenruf zur Kenntnis bringen will, „dass wir eine Rechtsordnung und keine Linksordnung haben!“
Josef Smolle von der ÖVP hingegen regt niemanden auf. Der Dermatologe hält eine weitgehend allgemeine Kurzvorlesung über personalisierte Medizin und der Notwendigkeit, entsprechende Behandlungs- und Verlaufsdaten auch noch nach zehn, fünfzehn Jahren zur Verfügung zu haben. Das hatte mit dem Thema genaugenommen gar nichts zu tun und war ganz sicher nicht geeignet, KritikerInnen des Gesetzes zu beruhigen, ist aber wahrscheinlich auch egal.
SPÖ-Abgeordneter Johannes Jarolim schaffte es, in sehr kurzer Zeit mit viel Elan von Facebook und Google und die Gesetzgebung der Regierung im Sinne der Großkonzerne zu Datenmissbrauch und BVT zu kommen. Am Ende outete er sich als „fanatischer Anhänger von Elga“ und gestand ein, sich die Frage zu stellen, „ob ich mich nicht auch abmelde.“ Höhepunkt der Rede war jedoch ein Zwischenruf von FPÖ-Klubobmann Rosenkranz, der an einem Tag, an dem er die Möglichkeit der Weitergabe sensibler Gesundheitsdaten aus ELGA an private Unternehmen seine Zustimmung gab, meinte: „Ich war immer ein Elgaskeptiker und bleibe es auch!“
Philip Kucher von der SPÖ, wendet sich mit seinem Beispiel, wie wichtig der Schutz der Privatsphäre ist direkt an Nationalratspräsident Sobotka,. Die Widersprüche innerhalb der Regierung sind für ihn nicht hinnehmbar, der Datenschutzbereich sei zu sensibel um später nach zu justieren. Kucher verweist, dass es eine Unklarkeit gibt, was unter einer Forschungseinrichtung nach diesem Gesetz verstanden wird. Auch das es in die Zuständigkeit des Verkehrs- und Infrastrukturministers Norbert Hofer fällt, ob ein dateninteressiertes Unternehmen unter diese unklare Definition fällt, ist für Kucher ein Kritikpunkt. Das Gesetz würde gesellschaftlichen Interessen zu wenig berücksichtigen.
Erst als vorletzter Redner meldete sich der zuständige Minister Heinz Fassmann zu Wort. So richtig zu sagen hatte er aber nichts. Außer vielleicht: „Wir werden so etwas wie ein Handbuch herausgeben müssen, wie man mit personenorientierten Daten umgeht, und wir müssen das auch in die Leistungsvereinbarungen einbringen, denn ich sehe die Gefahr, dass es aufgrund der hohen Barrieren zu wenig an Forschung geben wird.“
Sonja Hammerschmied von der SPÖ stellte fest, dass sie Molekularbiologin war, ehe sie in die Politik wechselte und Erfahrung mit Forschung hat. Die Rolle als „Ausputzerin“, also als letzte Rednerin, die quasi den letzten Eindruck verfestigen konnte, gelang es ihr nicht, auszufüllen, als sie neue Themen aufwarf und Fachtermini nutze, die bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht verwendet oder gar erklärt worden waren. Dennoch bringt sie mehrere interessante Aspekte ein, etwa: „Die Unternehmen bekommen Zugriff auf diese Daten durch einen Bescheid des Verkehrsministers – vom Verkehrsminister, nicht vom Wissenschaftsfonds, vom Verkehrsminister!“
Nach Beschlussfassung im Nationalrat kommt langsam ans Tageslicht, was die Bundesregierung da gemacht hat. „Österreich zieht dem neuen Datenschutz die Zähne“, schreibt etwa eine Analyse auf heise.de. Der Ärger beginnt also erst.
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