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Die Regierung will sich beim 12h-Arbeitstag durchschummeln

Noch im Juli soll der von der Wirtschaft geforderte 12h-Arbeitstag im Parlament beschlossen werden. Es ist eine zeitliche, aber auch inhaltliche Hauruck-Aktion ohne gesellschaftlicher Debatte. Die 12h-Arbeitstag-Aktion hat eine klare Botschaft, die bereits im Parlament beginnt und ab Jänner 2019 in den Betrieben fortgesetzt werden wird: Der Stärkere schafft an.

Durchbox-Strategie

Die Regierung ist sich des Gegenwinds bei ihrem Vorhaben wohl bewusst: ihr Vorgehen entspricht der „auf Nummer Sicher“-Strategie. Das Einbringen eines Initiativantrags von ÖVP und FPÖ Abgeordneten (darunter der ÖVP-Wirtschaftsbundchef) ist für ein derartiges Thema unüblich. Normalerweise gibt es bei Regierungsvorhaben einen Ministerialentwurf (inkl. Erläuterungen, Wirkungsanalyse und Textgegenüberstellung), dann eine Begutachtungsphase und später eine Regierungsvorlage, die dann im jeweiligen Fachausschuss beraten und diskutiert wird, bevor diese in zweiter und dritter Lesung in den Nationalrat kommt. Jetzt gibt es einen Initiativantrag, der die Zuweisung in den inhaltlich nicht zuständigen Wirtschaftsausschuss vorschlägt und noch dazu eine Fristsetzung, dass der Antrag noch bis 4. Juli beraten wird. Nationalratspräsident Wolfgang Sobokta muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht sachlich und parteiunabhängig bei der Zuteilung dieses Initiativantrags agiert zu haben. In den letzten Jahrzehnten wurden Arbeitszeitgesetze immer im Sozialausschuss mit dem für Arbeit zuständigen Minister beraten. Jetzt gibt es einen Antrag vom Wirtschaftsbundchef, der gleichzeitig ÖVP-Abgeordneter ist, und die Debatte findet im arbeitgeberfreundlichen Wirtschaftsausschuss statt. Mit einer Wirtschaftsministerin, die vor kurzem gemeint hat, dass lange Anreisen zum Arbeitsplatz für sie keinen Grund darstellen um mit Freunden nicht in Kontakt bleiben zu können, denn es gäbe ja Facebook.

Unkompliziertes ÖVP-Wunschkonzert in Arbeitszeitfragen

Hier wird keine Debatte angestrebt, genauso wenig wie dann auch mit dem 12h-Arbeitstag keine betriebliche Diskussion und Mitbestimmung intendiert ist. Noch dazu geht es bei den Änderungen um mehr, als den 12h-Arbeitstag bei Gleitzeit. Es werden auch die Wochenend- und Feiertagsarbeitszeit sowie Ruhezeiten angegriffen und die Kontrollinstanzen des Arbeitsinspektorats und die Mitbestimmungsmöglichkeiten des Betriebsrats bei Verlängerung der Arbeitszeit (hinsichtlich Vorliegen eines höheren Arbeitsbedarfes) ausgehebelt. Und damit es in Familienbetrieben keine „Rechtsunsicherheit“ mehr gibt, werden mitarbeitende Eltern, Kinder, Ehegatten, und LebenspartnerInnen gleich ganz aus dem Geltungsbereich des Arbeitszeitgesetzes herausgenommen. Das gilt auch für eine neu eingeführte Kategorie von ArbeitnehmerInnen mit „maßgeblichen selbstständigen Entscheidungsbefugnissen“. Die Begründung spricht von der dritten Führungsebene. Ob diese Ebene in Kleinbetrieben überhaupt so häufig ist, für die ja das Gesetz gemacht worden ist, bleibt dahingestellt.

FPÖ bleibt in der Theorie: Überstundenzuschläge bleiben, wenn auch im Nirwana

Die FPÖ hat für ihren Schwenk zum 12-Arbeitstag im Dezember heftige Kritik ihrer SympathisantInnen einstecken müssen. Sie hat immer darauf beharrt, dass Überstundenzuschläge erhalten bleiben müssen. Das ist aber beim vorliegenden Antrag nicht realistisch: denn Überstunden mitsamt ihren Zuschlägen werden in Zeitguthaben innerhalb der Durchrechnungsphase gebunkert. Für die Festlegung der Dauer der Durchrechnungsphasen gibt es bisher schon gesetzlich keine Grenze, diese kann von einem bis zwei Jahre oder länger dauern. Die geplante Änderung sieht zudem die Übertragung der Zeitguthaben nicht wie bisher in die nächste, sondern auch in die nächsten Durchrechnungsphasen vor. Die Überstunde samt Zuschlag liegt dann ein Jahr am Zeitguthabenkonto und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass diese niemals zur Auszahlung kommt, auch weil in vielen Betrieben die Abgeltung in freien Tagen („Zeitausgleich“) Praxis ist. Und zwar dann, wenn wenig Arbeitsaufträge bestehen und nicht dann wenn Beschäftigte Freizeit brauchen. Die Kontrollmöglichkeiten von Beschäftigten und der Überblick, dass ein Zuschlag nach ein bis zwei Jahren in Zeit oder Geld umgewandelt wird, ist ebenso problematisch.

Die Zahl zehn wird durch zwölf ersetzt

Die tägliche Höchstarbeitszeit wird von zehn Stunden auf zwölf Stunden angehoben, die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 50 auf 60 Stunden. Bisher gab es zusätzlich zur Höchstarbeitsgrenze von zehn Stunden Ausnahmeregelungen, die auch einen 12h-Arbeitstag unter besonderen Auflagen (wie Kollektivvertrag oder Meldung an das Arbeitsinspektorat) ermöglicht haben. Jetzt ist diese Höchstgrenze um zwei Stunden erweitert. Die Ausnahmeregelungen mitsamt ihren Schutzbestimmungen sind damit obsolet und werden abgeschafft. Wenn Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet werden, dann geschieht dies in Zukunft im Rahmen der gesetzlichen Höchstarbeitsgrenzen von 12h-Arbeitstagen. Überstunden anzulehnen, ist aus ArbeitnehmerInnensicht immer heikel, weil dies einer Arbeitsverweigerung gleich kommt, die mittelfristig auch den Arbeitsplatzverlust bedeuten kann. Private Interessen stehen mit den betrieblichen Interessen im Wettbewerb, nur ein Gericht kann im Konfliktfall klären welche Interessen überwiegen.

Freiwillig ist hier gar nichts

Die Diskussion wäre nach der ÖVP-Meinung so einfach: ArbeitnehmerInnen wollen mehr Freizeit, und damit sie sich schaffen, können sie freiwillig zwölf Stunden im Gleitzeitarbeitsmodus arbeiten. Dass Arbeitszeit für diesen legitimen Wunsch auch verkürzt und an der Lohnverteilung angesetzt werden könnte, kommt der ÖVP nicht in den Sinn. Die Wahrheit ist aber nach Gewerkschaftserfahrung ebenso einfach: ArbeitnehmerInnen werden durch die Änderungen der Arbeitszeitnormen einem Erwartungsdruck ausgesetzt: Wer nicht in der Lage ist, zwölf Stunden zu arbeiten, aus welchen Gründen auch immer, der wird es in Betrieben ohne BetriebsrätInnen und mit hoher Konkurrenz am Arbeitsmarkt immer schwerer haben. Dazu zählen zum Beispiel alle, die Betreuungspflichten oder lange Arbeitswege haben, die aus gesundheitlich Gründen Vollzeitplus nicht schaffen oder sich parallel weiterbilden.

12h-Arbeit in Gleitzeit muss nicht mehr Lohn oder mehr Freizeit durch Zeitausgleich bedeuten

Geht es nach dem ÖVP-FPÖ-Antrag dann werden bei Gleitzeit 12h-Arbeitstage fünfmal pro Woche gesetzlich bald möglich. Dabei ist das Gleitzeitkonzept grundsätzlich bei ArbeitnehmerInnen aufgrund der flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten beliebt. Der Deal ist, dass Gleitzeitbeschäftigte innerhalb der Kernarbeitszeit im Betrieb anwesend sind, selbst aber den Beginn und das Ende des Arbeitstages innerhalb des Gleitzeitrahmens bestimmen. Gleitzeitstunden werden dann im jeweiligen Durchrechnungszeitraum angesammelt und wieder abgebaut, weil meistens nur ein kleiner Teil in die nächste Durchrechnungsphase mitgenommen werden kann. Stunden, die im Gleitzeitrahmen angesammelt werden, werden in der Regel 1:1 abgegolten. Die Arbeiterkammer macht in einem ersten Faktencheck deutlich, dass bei der geplanten Änderung erst ab der elften und zwölften Stunden Überstundenzuschläge anfallen würden. Der Stundenabbau über Zeitausgleich muss zudem zwischen ArbeitnehmerIn und ArbeitgeberIn vereinbart werden. Wenn der ArbeitgeberIn nicht zustimmt, dann bleiben die Stunden im Zeitguthaben. Gleitzeit bedarf einer Betriebsvereinbarung, die von BetriebsrätInnen und ArbeitgeberInnen gemeinsam beschlossen wird. Die Idee, dass Beschäftige aus freien Stücken von neun Uhr früh bis 22 Uhr abends (inkl. gesetzlichen Pausen) den Betrieb nicht verlassen, ist nur aus der Arbeitgeberperspektive verstehbar, der in MitarbeiterInnen nur MitarbeiterInnen sieht, und keine Menschen mit sonstigen „persönlichen Interessen“ und Lebensbereichen.

Wenn der Betrieb ruft: 20 Überstunden pro Woche zulässig

Auch bei Vorliegen eines erhöhten Arbeitsbedarfs selbst ohne Gleitzeit wird es – geht es nach den ÖVP-FPÖ- Plänen – den 12h-Arbeitstag bald geben. Statt der bisher fünf zusätzlichen zulässigen Überstunden sollen bald zwanzig Überstunden pro Woche für Beschäftigte vom Arbeitgeber angeordnet werden können. Der Begründungstext ist eindrucksvoll: „Die derzeitige Regelung des zulässigen Überstundenkontingents (fünf Stunden pro Woche und darüber hinaus 60 Stunden pro Kalenderjahr) wird als kompliziert empfunden und soll durch eine Beschränkung der wöchentlichen Überstundenanzahl auf 20 Stunden im Abs. I ersetzt werden.“ (S.6) Die Meldepflicht und auch Kontrolle durch Betriebsrat,  Arbeitsmedizin und Arbeitsinspektorat werden ausgehebelt, die Strafen bei Nichtmeldung daher konsequenterweise ebenso.

Interessensausgleich in der Gastronomie abgeschafft

Dort, wo überlange Arbeit nur mittels Kollektivvertrag und Betriebsvereinbarung, wie zum Beispiel der Gastronomie, möglich war, gibt es nach den geplanten Änderungen einen Entfall dieser Voraussetzungen. Auch die Ruhezeitenbeschränkungen von mindestens elf auf acht Stunden werden im Gastronomiebereich (Küche und Service) von den vollzeitbeschäftigten Saisonkräften auf alle ArbeitnehmerInnen in geteilten Diensten ausgeweitet, ohne dass es dazu einen Kollektivvertrag oder eine Betriebsvereinbarung geben müsste. Das Konto über die Ruhezeitverkürzungen, das ArbeitgeberInnen aktuell führen müssen, wird auch abgeschafft. Diese Verschärfungen werden sicher nicht dazu beitragen, dass die vielen offenen Stellen in den Koch- und Kellnerberufen schneller besetzt werden.

Auch Wochenende und Feiertagsarbeit wird weiter entgrenzt

Aber es sind nicht nur Änderungen im Arbeitszeitgesetz, die diskutiert werden müssen. Die gesetzliche Schwester des Arbeitszeitgesetzes ist das Arbeitsruhegesetz. Hier sind Änderungen bei Auftreten besonderen Arbeitsbedarfs geplant: Betriebsvereinbarungen sollen viermal im Jahr Wochenend- und Feiertagsarbeit zulassen können. Aber auch ohne Betriebsrat soll dies möglich werden mittels schriftlicher Einzelvereinbarung. Ablehnen ist aus „überwiegend persönlichen Interessen“ gesetzlich zwar möglich, wird aber angesichts des wachsenden Drucks in Betrieben immer mehr zum Konfliktthema werden. Denn auf welche Schutzinstanz sollen sich ArbeitnehmerInnen berufen?

Neue Anordnungsrechte bei gleichzeitiger Aushebelung der betrieblichen und arbeitsmedizinischen Kontrollinstanzen nützen nur den Unternehmen

Zusammengefasst: Die Befugnisse von Unternehmen, Überstunden anzuordnen werden stark ausgeweitet. Die Schutzinstanzen der Beschäftigten, bisher auch schon nicht immer sehr wirkungsvoll, werden völlig ausgehebelt. Die Frage, ob und ab wann Überstundenzuschläge oder Zeitguthaben anfallen, wird völlig neu zu beantworten sein, da viele derzeit bestehende Regelungen in Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen nicht mehr anwendbar sein werden. Noch dazu weisen ArbeitsrechtlerInnen darauf hin, dass die derzeit bestehenden Gleitzeitarbeitsverträge unter anderen Voraussetzungen eingegangen wurden und neu verhandelt gehören. Das neue Arbeitszeitregime stellt nicht nur eine Verschlechterung für einzelne Berufsgruppen dar (knapp ein Drittel der Beschäftigten arbeiten derzeit in Gleitzeitregelungen), sondern wird nachhaltige Auswirkungen auf die Zukunft der Erwerbsarbeit und ihre Arbeitsbeziehungen haben.

 

Für Spezialinteressierte:

Vergleich Ist-Situation und geplante Änderungen im Arbeitszeitgesetz

(Unterschiede sind unterstrichen)

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Anna Schopf

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