Die schwarz-blaue Bundesregierung hat sich mit ihrem Arbeitsprogramm eine effektive Agenda zur Förderung von Lohn- und Sozialdumping gegeben. Einerseits sollen die Rechtsgrundlagen zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping zu Lasten der Beschäftigten verschlechtert, andererseits eine Spirale von dauerhafter Lohnkonkurrenz in Bewegung gesetzt werden.
Seit 2011 gibt es in Österreich ein europaweit einzigartiges Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping. Es beauftragt die Behörden, die Einhaltung von Kollektivverträgen, Gesetzen und Verordnungen bei Löhnen aktiv zu prüfen und Unterentlohnungen zu bestrafen. Entstanden ist dieses Gesetz im Zuge der Öffnung des Arbeitsmarktes für osteuropäische EU-Mitglieder: Alle Unternehmen, auch solche mit Sitz im Ausland, sollten verpflichtet sein, österreichische Lohnstandards einzuhalten. Nicht allein für die Sozialversicherung war dies ein erheblicher Fortschritt bei der Einbringung ihr zustehender Sozialbeiträge, sondern vor allem auch für ArbeitnehmerInnen: Vor Inkrafttreten des Gesetzes mussten sie selbst gegen lohndumpende Betriebe vor Gericht ziehen und beweisen, dass sie zu gering bezahlt/unterentlohnen werden. Mit dem Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz gab es erstmals eine amtliche Feststellung hinsichtlich zu entrichtender Löhne und Gehälter. In zwei Novellen wurden tatsächlich bestehende Gesetzeslücken geschlossen. Seit 1.1.2017 ist das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz sehr wahrscheinlich das einzig wirklich effektive Gesetz gegen Lohn- und Sozialdumping weltweit. Doch für Schwarz-Blau scheint es zu gut zu sein: Im Regierungsprogramm kündigt die Regierung an, das Schutzniveau des Gesetzes einerseits deutlich zu verschlechtern und andererseits den Lohndruck auf ArbeitnehmerInnen zu erhöhen. Ins Auge stechen insbesondere drei Ankündigungen.
1. unvollständige Prüfung der Lohnhöhe
Bis Dezember 2016 durften auf Druck der ÖVP und der Wirtschaftskammer nur „Grundlöhne“ hinsichtlich Lohn- und Sozialdumpings geprüft werden. Ob auch tatsächlich alle in einem Kollektivvertrag oder im Gesetz vorgesehenen Zulagen etwa für bestimmte Tätigkeiten, Funktionen oder Überstunden entrichtet wurden, wurde von der Behörde nicht geprüft. Das führte zur absurden Situation, dass Unternehmen, die Löhne entweder auf Grund falscher Kollektivverträge oder aber unvollständig ausbezahlten, nicht vom Gesetz erfasst wurden, so lange der tatsächlich bezahlte Betrag zumindest den Grundlohn erreichte. In manchen Bereichen – etwa im Baubereich, aber auch in verschiedenen Sozialberufen – konnte der Unterschied bis zu 40% des zustehenden Lohns ausmachen. Seit 1.1.2017 prüft die Behörde jedoch „das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien“. Sie prüft also auch die Frage, in welcher Gehaltsstufe ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin zu sein hat, welche Zuschläge oder Zulagen gebühren, ob die Überstunden auch korrekt entlohnt werden oder ob die Sonderzahlungen geleistet werden.
Auf diese Weise kommen nicht nur die Sozialversicherungsträger zu allen Beiträgen, sondern auch ArbeitnehmerInnen zu ihrem Recht. Vor dem 1.1.2017 mussten sie ihre Ansprüche zivilrechtlich einklagen. Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz schuf eine konkrete Grundlage, auf der Ansprüche bereits vor einem Gerichtsverfahren amtlich festgestellt wurden.
Auf Seite 146 des Regierungsprogramms kündigt Schwarz-Blau nunmehr an, wieder zur Rechtslage aus der Zeit vor dem 1.1.2017 zurückzukehren. Mit Ausnahme der Baubranche solle nur mehr der Grundlohn geprüft werden. Damit verliert der Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping jedoch den größten Teil seines Effekts.
2. Verlagerung der Prüfungszuständigkeit von den Sozialversicherungen zur Finanzpolizei: weniger Kontrollen
Für die Prüfung der Löhne und Sozialabgaben sind derzeit verschiedene Einrichtung zuständig: Sowohl die Sozialversicherungsträger (wie etwa die Gebietskrankenkassen oder die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse BUAK) als auch die Finanzpolizei. Die Idee dahinter: Die Sozialversicherungsträger prüfen ohnehin stichprobenartig Betriebe und können die gesetzeskonformen Gehälter gleich in einem Aufwaschen mitprüfen. In der Realität ergibt sich aber ein erhebliches Ungleichgewicht: Während die Sozialversicherungsträger deutlich mehr Betriebe prüfen, als ursprünglich geplant, kommen die Finanzbehörden auf nicht einmal 50% ihres Plansolls. Die von der Regierung auf Seite 129 des Regierungsprogramms angekündigte Verlagerung aller Prüfkompetenzen zur Finanz ist also in der Praxis eine Maßnahme zur Verringerung der Prüfungen. Sie hebelt auch unterschiedliche Interessen aus: Das Finanzamt unterliegt einer politischen Führung und hat politische Weisungen zu beachten. Die Sozialversicherungsträger wiederum haben ein anderes Interesse, nämlich zu ihren Beitragseinnahmen zu kommen. Ziel der Bundesregierung ist es, diese Interessensbalance auszuhebeln und mehr politischen Zugriff auf die Sozialversicherungsträger und damit auf die Lohndumpingbekämpfung zu bekommen. Das Ziel der Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping tritt in den Hintergrund gegenüber dem Interesse der Regierung an politischer Einflussnahme (im konkreten Fall wohl zu Gunsten derer, die potentiell Lohn- und Sozialdumping betreiben). Für die Finanzpolizei sind Lohnkontrollen heute schon ein Nebenschauplatz, weil sie in den letzten Jahren viele Prüfkompetenzen hinzubekommen hat – bei gleichzeitiger Personalplankürzung.
3. Abschaffung der Notstandshilfe
Im Unterschied zu den beiden erst genannten Punkten, die unmittelbar die Rechtsgrundlagen im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping zu Lasten der Beschäftigten verschlechtern, setzt die Abschaffung der Notstandshilfe eine effektive Spirale zur Senkung der Arbeitseinkommen in Gang. Sollte die Bundesregierung ernsthaft die Abschaffung der Notstandshilfe in Betracht ziehen, so fallen in Zukunft etwa 345.000 Menschen, die derzeit pro Jahr Notstandshilfe erhalten, samt Familienmitgliedern in die Mindestsicherung. Zusammen sind das dann etwa 750.000 Menschen (zusätzlich zu den bereits etwa 300.000 Mindestsicherungsbezieherinnen).
Das bedeutet jedoch noch lange nicht, dass sie auch Mindestsicherung erhalten: Bereits wer ein Sparbuch mit zumindest 4.316 Euro besitzt, ein Auto, eine Lebensversicherung oder eine Eigentumswohnung, ist gezwungen, dieses Eigentum auf die eine oder andere Art „zu verwerten“. Ein Sparbuch, eine Lebensversicherung oder eine Pensionsvorsorge müssen, sofern sie (zusammen) eben den Betrag von 4.316 Euro pro Haushalt übersteigen, aufgelöst und aufgebraucht werden, ehe jemand Geld aus der Mindestsicherung erhält. Ein Auto muss im Regelfall verkauft werden. Im Falle einer selbst bewohnten Eigentumswohnung trägt sich das Sozialamt nach sechs Monaten quasi als Miteigentümer ins Grundbuch ein.
Ein erheblicher Teil der derzeitigen NotstandshilfebezieherInnen hat oder wird? also entweder gar keinen Anspruch auf Mindestsicherung haben oder auf diesen verzichten (müssen), weil es weder sinnvoll noch zumutbar ist, in Problemsituationen etwa ein benötigtes Fahrzeug oder langfristige Pensionsvorsorgen mit erheblichem Wertverlust zu verscherbeln.
Diese Menschen werden ohne AMS-Leistung dastehen und in der Regel kurzfristige, sehr schlecht entlohnte Jobs annehmen müssen. Einmal abgesehen davon, dass ein derartiges Arbeitsmarktregime Menschen effektiv daran hindert, wieder langfristig abgesicherte Jobs zu finden, senkt es das Lohnniveau in Niedriglohnbranchen: Der Zwang, jede noch so schlecht bezahlte und prekäre Beschäftigung anzunehmen, setzt jede Möglichkeit der Lohnentwicklung außer Kraft.
Das Absurde dabei: Auf diese Weise werden weder neue Jobs geschaffen noch zusätzliche arbeitslose Menschen in Beschäftigung vermittelt, weil nicht die Nachfrage nach Jobs, sondern (allenfalls) der Konsum bzw. die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen die Zahl der neu geschaffenen Jobs bestimmt. Sehr wohl aber erspart sich der Staat Versicherungsleistungen für die BeitragszahlerInnen und die Unternehmen Geld auf Grund niedrigerer Löhne. Dass dies in katastrophaler Weise effektiv und wirksam ist, zeigt sich an den Folgen der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe in Deutschland (entsprach der österreichischen Notstandshilfe) im Jahr 2005. Mit „Hartz IV“ stieg der Anteil der NiedriglohnempfängerInnen an allen ArbeitnehmerInnen in Deutschland von knapp über 15% auf 22,5%.
Anmerkung: In mehreren Medien wird die Zahl der NotstandshilfebezieherInnen mit 167.000 angegeben. Wir schreiben von 345.000. Warum ist das so?
Im Jahresdurchschnitt sind tatsächlich 167.000 pro Monat in der Notstandshilfe. So ziemlich allen Medien von ORF über Standard bis hin zur APA ist jedoch entgangen, dass diese Zahl für die Darstellung der Folgen einer Abschaffung der Notstandshilfe irrelevant ist. Wesentlich ist nicht die Durchschnittszahl der BezieherInnen pro Monat, weil diese über mehrere Monate hinweg immer wieder dieselben Betroffenen sein können, aber eben nicht sein müssen. Relevant ist einzig die Gesamtzahl der BezieherInnen in einem Jahr. Und die lag 2016 eben bei 345.000 Menschen.