Im Wahlkampf wurde von der ÖVP mit einem „neuen Stil“ geworben. Seit dem wurde die politische Kommunikation gerahmt durch das Neue, denn das Land bräuchte Veränderung. Trotz des kommunikativen Bemühens, alles Neu oder zumindest anders zu machen, ist es erstaunlich, wie ähnlich Sebastian Kurz seinen Vorgängern doch ist. Er scheint geradezu eine Summe der verschiedenen Charaktermerkmale seiner Vorgänger zu sein. Daher fällt es auch ungleich schwerer, die verschiedenen Aspekte auseinanderzuhalten, weil uns so vieles als bekannt erscheint.
Der Fisch, sein Kopf und seine Vorgänger – das ist die neue Symbiose
Abarbeiten ohne argumentative Diskussion – das ist das neue Versprechen
Der gesamte Rhetorikstil der ÖVP-Regierungsmitglieder wirkt wie automatisiert. Diskussionen und Gegenargumente werden nicht in die politische Argumentation eingebettet, sondern es wirkt als wären diese Störfaktoren. Wenn Sebastian Kurz etwa auf das rot-blaue Pingpong zur Mangelberufsliste Mitte Jänner am Rande des Ministerrats angesprochen wird, meint er: “Ich habe genug zu tun”, immerhin müsse er ein Regierungsprogramm abarbeiten.
Auch Elisabeth Köstinger, oft als Sprecherin vorgeschickt, meint Anfang März auf die Frage eines NEWS-Journalisten, wie ihre Zwischenbilanz aussieht „Der Fokus liegt darauf, das Regierungsprogramm abzuarbeiten und die Versprechen, die wir gegeben haben, einzulösen.“
Diese zwei Aussagen zeigen den Tunnelblick, der sich aufs Abarbeiten ohne Diskurs, ohne dialogischen Prozess, konzentriert. Aus dieser Perspektive braucht es auch keine gesellschaftliche Auseinandersetzung und Diskussion. Das Veranlassen des „Zurückziehens“ kritischer Stellungnahmen aus der eigenen Beamtenschaft zu Gesetzesbegutachten ist ein Indiz dafür. Ähnlich scheinen die Sozialpartner als Echolot und Impulsgeber nur mehr einseitig gehört zu werden. Und damit werden Gewerkschaften und Arbeiterkammer, genauso wie die Zivilgesellschaft zu Zuschauern, wie die „Versprechungen eingelöst“ werden.
Regierungsprogramm als einziges politisches Handlungsgerüst – das ist das neue „Stick-to-the-paper“
Während viele vorangegangenen Regierungen Inhalte in ihren Koalitionsübereinkommen angeführt hatten, die niemals umgesetzt, oder auch aufgrund von starken Gegenwind abgeblasen wurden (wie z.B. der 12h/Arbeitstag bei Gleitzeit), ist jetzt das Regierungsprogramm, die Pakttreue mit dem Papier stärker als jedes gute Gegenargument.
Deutlich wird dies u.a. in der Reaktion von Frauenministerin Juliane Bogner-Strauss auf einen Brief der Grünen, der sie zur Unterstützung des Frauenvolksbegehrens aufgerufen hat. In ihrem Antwortbrief beruft sich die Frauenministerin darauf, dass sie nur „die Forderungen, die realisierbar sind und sich mit dem Regierungsprogramm decken, natürlich in die Tat umsetzen” wolle.
Es ist undenkbar, dass das Regierungsprogramm alle Zukunftsfragen, der nächsten fünf Jahre umfasst, und darauf Antworten gibt. Dieses Stick-to-the-Paper stellt quasi ein Deadlock zwischen ÖVP und FPÖ dar, und wurde in der Rauchverbotdebatte schon aktiviert. Die ÖVP hat die FPÖ-Klientelpolitik für die Gastronomen gegen ihre frühere politische Linie mitgetragen, damit sie noch in diesem Jahr ihre angedachten Kürzungen im Bereich der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Pensionspolitik durchbringen kann und die FPÖ dann nicht ausschert.
Das Argument mit der Mehrheit – das ist das neue Marionetten-Kabinett
Während sich die ÖVP-MinsterInnen im rhetorischen Gleichklang medial ebenso rarmachen, wie der Regierungschef, ist ein deutlicher Unterschied zu den MinisterInnen auf FPÖ-Plätzen zu bemerken. Die Außenministerin geht häufig auf Distanz zu „ihrer“ Partei, die Gesundheitsministerin hat mit dem Kippen des generellen Rauchverbots „keine Freude“. Gemeinsam ist den MinisterInnen, dass sie nicht souverän in ihrem eigenen politischen Handlungsspielraum wirken. Selbst dann, wenn sie Position beziehen, werden sie wie am Beispiel aus dem Jänner zur Einführung von Hartz IV, von Kanzler Kurz zurückgepfiffen („der Kanzler hat Recht“). Worin dieses Recht bestehen soll, bleibt aber offen.
Das ausgewählte Beispiel verdeutlicht den Eindruck, dass MinisterInnen kein Pouvouir haben, wenn die „Mehrheit“ in Form der Regierungsverhandlungen sich schon geeinigt hat. Im fast schon legendären ZiB 2 Interview am 2. Jänner 2018 meint Beate Hartinger-Klein: „Dass ich als Gesundheitsministerin damit keine Freude habe, glaube ich liegt auf der Hand. Ich kenne die Zahlen genau. Mir ist die Prävention gerade bei Jugendlichen also ein ganz ein großes Anliegen. Ich werde hier auch einige Konzepte auch vorstellen. Was ich nur akzeptieren muss: Es ist eine gesellschaftspolitische Maßnahme, die von der Mehrheit im Parlament beschlossen wird. Und daran habe ich mich als Ministerin auch zu halten.“
Spagat zwischen Pakttreue und boulvardisiertem „Bevölkerungsempfinden“ – das ist die neue Unverantwortlichkeit
Die FPÖ ist weder im Parlament noch in der Kommunikation ihrer Bund- und Landesorganisationen inhaltlich abgestimmt. Die Statements von FPÖ-MinisterInnen, ParlamentarierInnen oder LänderpolitikerInnen differieren stark und erzeugen Widersprüche, die aber medial kaum thematisiert werden. Der deutlichste Widerspruch war beim Thema direkte Demokratie und Wahlfreiheit beim Rauchen in der Gastronomie im Februar zu erkennen. Während die einen eine Volksabstimmung forderten, schworen sich die anderen auf die Pakttreue zum Regierungsprogramm ein. Dass hier auch einige politische Undurchdachtheit dabei war, ist ersichtlich an der Wortmeldung des Kärntner FPÖ Obmanns Gernot Damann, der in der ZIB 20 am 21.02.2018 zur Raucherdebatte sagte: „Und deswegen wenn es nach mir geht, soll es so rasch wie möglich eine Volksabstimmung geben, um ehestmöglich Rechtsicherheit zu schaffen.“ Die Aussage suggeriert, dass Rechtssicherheit nur durch eine Volksabstimmung herbeigeführt werden könnte. Hier liegt ein Missverständnis vor, denn Rechtssicherheit wird durch Gesetze geschaffen, die klar formuliert, sachlich begründet, vorhersehbar und verlässlich für die Bevölkerung sind. Genau dieses Repertoire umfasst das neue Regierungshandeln nicht. Es wird in großen Bogen davon gesprochen, Gesetze aufzuheben, Maßnahmen zu stoppen. Es wird auch nicht davon abgegangen, wenn ExperInnen die nicht verfassungskonforme und nicht EU-rechtskonforme Ausgestaltung sachlich begründen und kritisieren. Eine Volksabstimmung ist nicht in der Lage Rechtssicherheit herzustellen. Eine Regierung wäre in der Lage dazu. Diese leider nicht. Das ist auch in diesem Ausmaß neu.