Der Widerstand hat gewirkt: Die Strafsenkung für lohndumpende Unternehmen wurde von der Regierung vorerst abgesagt. Und auch beim Anti-Terrorgesetz und der Mindestsicherung läuft es regierungsintern nicht ganz rund.
In der Ministerratssitzung vom 13. Juni hat die Regierung allerlei beschlossen: Das Gesetz über den sogenannten Familienbonus und das sogenannte Bundesrechtsbereinigungsgesetz wurden beschlossen und als Regierungsvorlage ans Parlament geschickt, wo es demnächst verhandelt werden soll. Über beide Thematiken, die höchst umstritten sind, haben wir berichtet. Am nächsten Tag überrumpelte die Bundesregierung das Land mit einem Initiativantrag zum zwölf-Stundentag (wobei es schon bezeichnend ist, dass die Regierung einen Initiativantrag ankündigt. Initiativanträge sind im Gegensatz zur Regierungsvorlagen Gesetzesanträge, die gerade nicht von der Regierung kommen, sondern eben von Abgeordneten).
Interessant ist aber nicht nur, was die Regierung tut, sondern auch, was sie nicht tut. Und weil sich gerade überraschenderweise auf einigen Felder etwas nicht getan hat, was vorgesehen war (und über das wir berichtet haben), ein kurzes Update zur sogenannten Verwaltungsverfahrensreform, zum Anti-Terror-Gesetz… und zur Mindestsicherung.
1. Regierung beschließt Verwaltungsverfahrensreform ohne „Kumulationsprinzip“
Da werden Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung aber sauer sein: Die Regierungsvorlage zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen wurde ohne das von den Wirtschaftslobbies geforderte „Kumulationsprinzip“ beschlossen. Dieses war im Begutachtungsverfahren auf großen Widerstand gestoßen, weil die Strafen für Lohn- und Sozialdumping, Verletzung von ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen, Nichtanmeldung von Beschäftigten und einer ganzen Reihe anderer Rechtsverletzungen „kumuliert“, also zu einer Strafe zusammengefasst und damit sehr stark reduziert werden sollten.
Zur Erinnerung (reflektive berichtete): Statt wie bisher üblich wollte die schwarz-blaue Bundesregierung zukünftig nicht mehr jede Rechtsverletzung einzeln behandelt und bestraft wissen. „Zusammenhängende“ Verfahren sollten zusammengefasst und mit lediglich einer einzigen Strafe belangt werden. Das hätte zur Folge, dass gegen Betriebe, die in sehr vielen, zum Beispiel 100, Fällen Löhne gedumpt und daher auch zu niedrige Sozialversicherungsbeiträge entrichtet haben, nicht mehr 100 Strafen jeweils zwischen 4.000 und 50.000 Euro verhängt werden würden, sondern nur mehr eine einzige (zwischen 4.000 und 50.000 Euro). Gewerkschaften, Arbeiterkammern, der Hauptverband der Sozialversicherungsträger, das Land Steiermark und viele andere mehr betrachteten das als Einladung zu Gesetzesverletzungen durch Betriebe. In der am 13. Juni 2018 beschlossenen Regierungsvorlage zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen ist das Kumulationsprinzip nicht mehr enthalten.
Doch noch ist für die FreundInnen des Lohn- und Sozialdumpings nicht aller Tage Abend: Im Ministerratsvortrag zum gegenständlichen Punkt heißt es: „Unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens wurde die gegenständliche Regierungsvorlage erstellt. In weiterer Folge wird die Bundesregierung rasch eine Regierungsvorlage zur Überarbeitung und Evaluierung des Kumulationsprinzips vorlegen.“
2. Kein Anti-Terrorgesetz beschlossen
Die Verschärfung der Bestimmungen gegen terroristische Vereinigungen (Strafrechtsänderungsgesetz 2018) wurde überraschenderweise am 13. Juni nicht im Ministerrat beschlossen. Auch gegen dieses Gesetz hatte es im Begutachtungsverfahren, aber auch in den Medien, großen Widerstand gegeben. Es erweitert den Begriff „terroristische Organisation“ in einer Art und Weise, dass er etwa auch Gewerkschaften und gewaltfrei arbeitende Nicht-Regierungsorganisationen erfassen kann. Außerdem wollte die Regierung eine Schutzbestimmung aufgehoben wissen, in der festgestellt wird, dass das Eintreten für Demokratie und Menschenrechte niemals Terrorismus sein kann (reflektive berichtete).
Überraschend ist das Fehlen der Gesetzesvorlage im Ministerrat deshalb, weil eine mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2018 zusammenhängende Änderung des Sicherheitspolizeigesetzes sehr wohl beschlossen und dem Nationalrat zum Beschluss übermittelt wurde. Das Strafrechtsänderungsgesetz 2018 sieht nämlich auch einen gerichtlichen Straftatbestand vor, der Unfallvoyeurismus unter Strafe stellt. Ein damit in Verbindung stehender Verwaltungsstraftatbestand, der auch eine Wegweisung von UnfallvoyeurInnen ermöglicht, wurde von der Regierung nun im Sicherheitspolizeigesetz beschlossen. Und das, obwohl das eigentliche Delikt im Strafgesetzbuch noch nicht verankert ist. Die Bestimmung im Sicherheitspolizeigesetz hängt jetzt quasi ein bisserl deppert in der Luft herum.
Das hat mit den Verschärfungen des Anti-Terrorgesetzes nur insofern etwas zu tun, als beide Dinge im gleichen Gesetzesentwurf standen, der nun eben nicht im Ministerrat beschlossen und daher kaum noch vor dem Sommer im Nationalrat beschlossen werden kann.
Scheint, als gäbe es beim Strafrechtsänderungsgesetz 2018 noch einige interne … na sagen wir mal … Abstimmungsprobleme zu überwinden.
3. Noch immer kein Ministerialentwurf zur Mindestsicherung
Bereits für die erste Juni-Woche 2018 hatte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf zur Mindestsicherung angekündigt (reflektive berichtete). Auch wenn das genaugenommen nichts mit dem Ministerrat zu hat (denn dieser muss Ministerialentwürfe vor der Begutachtung nicht beschließen, sondern beschließt im Ministerratsvortrag erst die Regierungsvorlagen), so fällt doch auf, dass die Ankündigung wohl etwas voreilig war. Statt einen Gesetzesentwurf vorzulegen, düst der Sozialsprecher der ÖVP, August Wöginger, eher hektisch in die ÖVP-regierten Bundesländer, um deren Bedenken gegen die Ankündigungen des Bundeskanzlers zu planieren.
Auffallend ist dabei, dass Wöginger selbst in einem Gastkommentar in der Wiener Zeitung von den Ankündigungen der Regierung wesentlich abweicht. Die Regierungspunktation hatte vorgesehen, dass Menschen mit geringen Deutschkenntnissen zwar 300 Euro weniger erhalten sollten, als andere MindestsicherungsbezieherInnen, diese fehlenden 300 Euro aber durch Sachleistungen ersetzt würden. In einem Artikel in der Wiener Zeitung betont Wöginger am 11. Juni jedoch, „dass ein 25 Jahre alter Asylberechtigter mit geringen Deutschkenntnissen nur noch 563 Euro aus Geld- und Sachleistungen erhalten wird statt wie bisher 863 Euro.“ Das ist entweder irreführend missverständlich oder eine eine erhebliche Änderung der bisherigen Regierungslinie. Es kann bedeuten, dass Asylberechtigte 563 € an Mindestsicherung und dazu noch Sachleistungen im Wert von 300 € erhalten. Das war zumindest bisher die – vom Verfassungsgerichtshof erzwungene – Linie der Regierung, die diametral zu ihren Ankündigungen im Wahlkampf und wohl auch zur Erwartung ihrer WählerInnen steht. Oder aber es kann heißen, dass es für AsylwerberInnen nur mehr 563 € für Mindestsicherung und Sachleistungen zusammen gibt. Das wäre aber in jedem Fall verfassungswidrig und europarechtswidrig. Den Spalt zwischen politisch Versprochenem und im Rahmen der Verfassung Umsetzbaren scheinen FPÖ und ÖVP nicht überwinden zu können. Nach der zweiten Verschiebung heißt es nun, dass der Entwurf zur Mindestsicherung am 22. Juni in Begutachtung geschickt werden könnte. Wie auch immer: Herr Wöginger wird seinen WählerInnen jedenfalls etwas zu erklären haben…
Siehe außerdem unser politisches Glossar: Wie ein Gesetz entsteht