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Patrick Sommer, Pixabay

SV-Wirtschaftsdeal: Zahl ein Fünftel und bestimme zur Hälfte!

Stimmrechte sind Vertretungsrechte. In der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen vergrößert sich bald der Einfluss der ArbeitgeberInnen erheblich. Ein Faktencheck, der die Argumentationslinie der Wirtschaftsseite widerlegt.

Denn die Struktur der Einnahmen, der Versicherten und Entscheidungsgremien macht deutlich, dass die einfache “wer zahlt schafft an”-Formel den Fakten nicht zuträglich ist. Nur ein Fünftel der Einnahmen kommt von der Wirtschaft. Viel eher kommt die von ÖVP-FPÖ heraufbeschworene Sozialversicherungsreform mehr der Einführung eines ungerechten Zensus-Wahlrechts gleich.

Mit der Sozialversicherungsreform wurde eine langjährige Forderung der Wirtschaft erfüllt: gleiche Anzahl der Stimmberechtigten in den Entscheidungsgremien der Krankenversicherung der ArbeitnehmerInnen, den Gebietskrankenkassen und zukünftigen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). 2017 hat sich das die Wirtschaftskammer mit einer beauftragten Studie durch das c-alm Institut auch bestätigen lassen: „Die Vertretung der Dienstgeber in den KV-Trägern ist mit nur einem Fünftel sehr niedrig.“ Zusätzlich wurde dort (S. 14) auch die Behauptung aufgestellt, dass die Dienstgeber/innen auch die Hälfte der Kosten in der Krankenversicherung  zahlen.

In dieses Horn bläst auch der WKÖ-Generalsekretär Kopf in einer Presseaussendung: „Das sorgt für ein ausgewogenes und faires Verhältnis, wie es auch den Finanzierungsbeiträgen in der Sozialversicherung entspricht.“ Der Salzburger Gesundheitslandesrat Christian Stöckl hat dies in einem Ö1 Morgenjournal im Oktober 2018 etwas weniger eloquent ausgedrückt: „Wer zahlt schafft an!“

Aber wer (be)zahlt? Und wer schafft an? Und wie passt das wirklich zusammen?

Widmen wir uns der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Die ÖGK ist jener Krankenversicherungsträger, welcher aus der Fusion von 9 Gebietskrankenkassen entsteht. Das ist die zukünftige Krankenversicherung für all jene, die nicht in der BVAEB (= BeamtInnen, EisenbahnerInnen, etc.) oder in der SVS (=Selbstständige und LandwirtInnen) sozialversichert sind oder die in einer der 15 Krankenfürsorgeanstalten außerhalb des Sozialversicherungssystems versichert sind. Das betrifft 5,4 Mio. Versicherte. Rechnet man noch jene dazu, die bei ihren Angehörigenmitversichert (etwa Kinder oder EhepartnerInnen) sind so umfasst die zukünftige ÖGK 7,1 Mio. Anspruchsberechtigte. Wir reden hier also über die ganz große Mehrheit der in Österreich krankenversicherten Menschen.

In den Gebietskrankenkassen waren die bisher die VertreterInnen der ArbeitnehmerInnen mit 4/5 der Sitze in Vorstand und Generalversammlung in der Mehrheit. Dies wurde durch die Reform auf ½ zurückgedrängt. Zukünftig steigt also das Stimmgewicht von Seiten der ArbeitgeberInnen von 1/5 auf ½. Soviel also dazu, wer anschafft.

Aber wie sieht es mit dem Bezahlen aus? 14,08 Mrd. Euro waren alle Einnahmen der Gebietskrankenkassen im Jahr 2017 zusammengerechnet. 81% waren Beitragseinnahmen, 19% kamen aus anderen Quellen (Ausgleichsfonds, Ersätze für Leistungsaufwendungen, Kostenbeteiligungen, etc.). Von den Beitragseinnahmen wiederum kommt auch nur ein Teil von unselbstständig Beschäftigten. Andere beitragszahlende Versicherungsgruppen, wie etwa PensionistInnen, Arbeitslose oder freiwillig Versicherte haben gar keine ArbeitgeberInnen.

Dass die ArbeitgeberInnen die Hälfte zahlen, ist also ein Mythos! Zum einen bezahlen sie nicht einmal die Hälfte der Krankenversicherungs-Beiträge (KV-Beitragssatz für DienstnehmerInnen: 3,87%, KV-Beitragssatz für DienstgeberInnen: 3,78%), zudem nur von einem Teil der Versicherten und mit allen anderen Einnahmen der Krankenversicherung macht der Anteil der Wirtschaft nur rund 28% aus. Damit „verdienen“ die WirtschaftsvertreterInnen nicht das halbe Stimmrecht!

Aber auch muss einmal ganz grundsätzlich angemerkt werden, dass ArbeitgeberInnen diesen Anteil nicht aus eigener Tasche bezahlen. Dieser Anteil ist Teil der Arbeitskosten, die in jeder Form von Kostenrechnung in betriebswirtschaftliche Preiskalkulationen einfließt. Die Grundlage dafür ist die Wertschöpfung der ArbeitnehmerInnen selbst. Nur weil es juristisch korrekt „Dienstgeberbeitrag“ heißt, spielt dies noch lange nicht die betriebswirtschaftliche Realität ab. Es ist also schlicht und einfach die Wertschöpfung der ArbeitnehmerInnen, die die Beiträge für IHRE Krankenversicherung erwirtschaftet.

Tatsache ist also, dass eine Gruppe von VertreterInnen eine massive Entscheidungsbefugnis in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung bekommt, in der sie weder selbst noch ihre Interessensgruppe versichert sind. Da es für Entscheidungen zumindest einen mehrheitlichen Beschluss braucht, können die VertreterInnen von der DienstgeberInnen-Seite jede Entscheidung in der zukünftigen österreichischen Gesundheitskasse blockieren. Umgekehrt braucht es nur eine Stimme von Seiten der ArbeitnehmerInnen, dass die ArbeitgeberInnen sich durchsetzen können – was aktuell laufend geschieht.

Besonders absurd ist es, dass das allgemeine Männerwahlrecht in Österreich 1907 eingeführt und damit das Zensuswahlrecht – also Wahlrecht aufgrund der Steuerzahlungen – abgeschafft wurde. Wenn also gefordert wird, dass jene mehr Mitbestimmung verdienen, weil sie ja bezahlen, dann argumentieren diese Österreich um über 110 Jahre zurück!

Und das wollen wir wirklich nicht! Weder bei Abstimmungen und Wahlen, noch bei Arbeitszeitregelungen oder anderen sozialstaatlichen Errungenschaften!

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Julia Stroj

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