reflektive
Szene aus Inland: Tauschgeschäft mit dem ungeliebten "Ausländer".

Ulli Gladiks Doku “Inland”: Im Wunderland politischer Selbstauskunft


Ein Dokumentarfilm richtet unsere Aufmerksamkeit darauf, wie drei Wiener*innen, die rechts wählen, über ihre politische Einstellung erzählen.

Das Inland liegt, wie sein Name schon sagt, innen; es definiert sich in Abgrenzung vom Ausland. Der so benannte Film der in Wien tätigen Regisseurin Ulli Gladik (Global Shopping Village, 2014) zeigt drei Leute aus Wien: zwei Wähler, eine Wählerin jener beiden österreichischen Rechtsparteien, die in ihrer Mobilisierungs- und Regierungspropaganda ganz auf diese Abgrenzung setzen.

In den Monaten vor und nach der Nationalratswahl 2017 begleitet Inlandeinen Mann, der in einem Odachlosenheim-Einzelzimmer wohnt, einen Beamten der Wiener Müllabfuhr und eine Kellnerin in einem Ottakringer Tschocherl durch deren Inland. Dieses Inland, dieser gelebte Binnenraum, ist hier gerade nicht die Wohnung oder das Alltagsleben mit seinen Gewohnheiten; es ist also nicht jene Art von sozialen Räumen, auf die sich die Ethnografie (nicht nur) österreichischer Dokumentarfilme sonst meist richtet – von Filmen Ulrich Seidls bis hin zu den Fernsehreportagen der ORF-Reihe Am Schauplatz. Schon insofern geht der Vorwurf des Historikers Thomas Walach fehl, Inland komme “nie über eine Folge Am Schauplatz hinaus” (Interview zum Film, Falter 18, 2019). Gladiks Film führt nicht ins Land des ‘Gelebten’, auf das so viele Doku-Formate fixiert sind; schon gar nicht ins Land des ‘Erlebten’, auf das der Chef einer der genannten Rechtsparteien fixiert ist, weshalb er – auch bei einer in Inland gezeigten Wahlkampfrede – auffallend oft “Wir erleben” (wahlweise mit Zusatz “linke Hetze”, “Ausländerkriminalität”, “EU-Arroganz”) sagt, als sei er ein Phänomenologe. (Dabei ist er nur ein – Sportminister. Piep!)

Hier spricht das Inland

Nicht ‘Milieustudie’, nicht ‘Inland-Empirie’, führt uns Inland, dem Gemeindebeamten folgend, eingangs kurz in dessen Favoritner Wohnviertel. Das Gewohnte sucht der Film im weiteren vor allem unter dem Aspekt von Redegewohnheiten auf. Sprich: Worüber wird gesprochen? Und wie? Etwa so, dass “die Ausländer” damit zusammenhängen, dass alles schlechter wird: Das ist beim Wohnviertel so und bei drei Viertel der anderen Themen, die zur Sprache kommen.

Dies ist ein Sprechfilm. Das Inland, in das er führt, ist die Seele, und die ist ein enges Land. Es geht um jene Psychologie der Politik, die Ideologie heißt (es geht da ja nicht nur um Welt-, sondern auch um Selbstbilder, zumal Selbstmissverständnisse, Projektionen und deren libidinöse Besetzungen, sprich: Sündenbocksuche geht mit Selbstnobilitierungen einher und macht insofern Lust). Die Erkundung der Seele leistet Inland im Medium der Binnendynamik von Gesprächen. Insofern ist er ein entdeckungsfreudiger Abenteuerfilm: Er nimmt uns mit ins Wunderland politischer Selbstauskunft. Samt Holpern im Terrain, Widersprüchen in der Wegführung, Abbrüchen von Argumentationspfaden. Ein Monster kommt auch darin vor, nämlich der Weiße Hai, der gerufen wird, um Abhilfe gegen ein Boot mit Refugees auf dem Meer zu schaffen; so der menschenverachtende rassistische Witz in einem der rechten Meme, die der Mann im Heimzimmer auf seinem Rechner sammelt und stolz vorführt.

Lass die Leute reden

Die Leute reden. Und so erfahren wir, und zwar mehr als über das einstige Favoritner Ghetto der als “Ziegelböhm'” stigmatisierten Arbeitsmigrant*innen, dass der aus diesem Milieu stammende FPÖ-Wähler “weniger Ausländer” will. Die Szene, in der er sich beim türkischen Frisör einen billigen Haarschnitt machen lässt und dessen Qualität lobt, wiewohl er über die vielen türkischen Läden in Favoriten geschimpft hat, ist keine Ausmalung eines Alltagsorts, sondern die Ausbreitung der Topik und Ideologik von Sprechakten (*). Dass er des Preises wegen ‘zum Türken’ geht, ist quasi ‘inkonsequent’ von dem Beamten – aber nur, sofern wir Ideologie und Politik mit stringenten Treueprogrammen verwechseln. Inkonsequenz liegt jedoch mit im Wesen der Politik, und so muss auch der Wähler mit frischem Haarschnitt und Vizekanzler nach dem ersten Halbjahr Türkis-Blau eine Enttäuschung konstatieren: “Nicht ein Ausländer weniger” sei da jetzt im Viertel – “nicht einer!”

Mehr auch als über den stressigen Alltag der Kellnerin erfahre ich darüber, wie sie über diesen redet. Und vor allem, dass sie nur über diesen reden will, über ihren unmittelbaren Erfahrungshorizont, ihr Ge- und Erlebtes: Sie, die Sebastian Kurz wählt, weil er so jung ist, weshalb sie sich von ihm erwarte, dass er doch an die Kinder, die er einmal haben wird, denken und folglich etwas für die Senkung der Wohnungsmieten tun werde, wird von der Regisseurin gefragt, wie sich das damit vertrage, dass die Immobilienwirtschaft Kurz’ Wahlkampf mitgesponsert habe und als Gegengabe von ihm freie Bahn zum Einheben von Lagezuschlägen auf Wohnungsmieten erhalte; darauf die Kellnerin, das sei ihr als Arbeiterin zu hoch, zu so etwas wie “Immobilien” könne sie nichts sagen.

Wer kann etwas sagen?

Da fällt nicht zuletzt ein Gegensatz auf: zwischen der hartnäckigen Selbstbescheidung der Frau und der noch hartnäckigeren Auskenner-Pose der beiden Männer. Mann will ‘jemand sein’, mann weiß bescheid, und mann will wenigstens irgendwen herumbosseln können: Türkische Arbeitskollegen, deren Sprache als Ärgernis empfunden wird, bieten sich da, einer Erzählung aus der Hackn zufolge, als Objekt an. Die Männer präsentieren sich auch als Verfügende über mediale Archive, über Online-Bilder und selbstgemachte FPÖ-Promi-Fotos bzw. über alte Homemovies aus einst von SPÖ-Loyalität geprägten proletarischen Lebenswelten. Ausgehend von diesen Erinnerungen blitzt denn auch ein im Tiefland des seelischen Gedächtnisses verschüttetes sozialistisches Klassenbewusstsein auf. Seltsam sind der Seele Setzungen. Politische Positionierungen sind eben weder auf Zweckkalkül noch Wirtschaftsinteressen reduzierbar, sondern immer auch mit weirden psychischen Energien geladen, und in Inland blitzt auch schierer Masochismus auf: In der Rennbahnwegsiedlung sei es heute ruhig und sauber, aber voller “Ausländer”; früher war die Siedlung als brutal verschrien, aber die Ösis waren unter sich, das war schön. Und: Wien brauche einen blauen Bürgermeister – damit die rote Gewerkschaft wieder mobil werde. Und: Dass die, die ich wähle, mir die Sozialhilfe kürzen, ist OK, wenn es dafür “die Ausländer” künftig noch schlechter haben.

Die Propaganda…

Da zeigt sich, dass der Kanzler und seine Truppe ihren Slogan “damit der, der arbeitet, nicht der Dumme ist”, nicht umsonst so oft wiederholen: Das kommt an. Dir wird’s schlechter gehen, aber anderen noch schlechter. Solche Propaganda (auch die im Film gezeigte Ermutigung an die Leute, zu ihren Ressentiments zu stehen, in Kurz’ Stadthallen-Rede 2017) ist einer der impliziten Gesprächspartner Gladiks. Weit entfernt davon, “endlich einmal nur zuzuhören”, wie es der notorische Diskurs der Normalisierung rechter Hetze fordert, spricht sie ab und zu aus dem Off: “Des musst´ mir jetzt erklären.”, “Und des haaßt?”, “Woher dieser Hass?”, “Weißt, was mich aufregt?” Was sonst drei Monologe wären, gerät so zum Drama: Sprach-Handlungen treffen aufeinander; Gladiks Sätze – Antwort, Einwendung, Nachfrage – erfolgen punktuell, sind pointiert, ziehen eine Vielfalt an Perspektivierungen ein.

… die Kritik…

Die Proto-Dialoge von Inland sind, wie es so heißt, ‘anschlussfähig’. Ein zweiter, nach und nach hinzukommender, impliziter Gesprächspartner dabei sind die Positionen, die Kritiker*innen in der Rezeption des Films beziehen. Das Lob für das “hohe Reflexionsniveau” der drei Protagonist*innen und der Vorwurf von Historiker Walach (im o.g. Falter-Interview), Gladik breche die Beobachtung ab, gerade als die Kellnerin und ihre Stamperlrunde davon reden, jetzt aber eine eigene Partei gründen zu wollen (die Szene ist das Ende des Films – und gaaaanz sicher ein Auftakt zur institutionellen Selbstermächtigung, den Gladik feige ausgeblendet hat), das ist die eine Seite: nämlich eine Überkompensation von verbreiteten linken Ängsten, man lasse es gegenüber Rechtswählenden an “Augenhöhe” und Respekt fehlen. Die andere Seite ist das Verdikt – von Karl Gaulhofer in “Dieser Film hört FPÖ-Fans zu”, Die Presse 3.5.2019 –, Gladiks Sicht der Dinge sei ähnlich “naiv” und als “Deutungsmuster” ähnlich “gewohnt” wie die der drei Rechten, wolle die Regisseurin doch, dass “Konzerne” zum Steuern-Zahlen gezwungen werden, damit mehr Geld für “die Armen” da wäre. Ja, das ist halt schon sehr naiv, von Konzernen zu fordern, dass sie Steuern zahlen: Die wären ja “die Dummen”, wenn sie das täten – und wo kämen wir da hin? (Ginge es nach dem Presse-Kritiker, hätte die Kellnerin recht mit ihrem Beharren darauf, dass viele über das Politische an der Wirtschaft leider nicht mitreden können.)

… und du

Der dritte implizite Dialogpartner im Anschluss an Inland sind die Stimmen, die du – das “Du” derer, die sich diesen Film anschauen – vielleicht gewohnt bist, weil sie dir nah sind. Viel näher als es die seltsam exotisierende Rezeption des Films suggeriert: In dieser herrscht die unausgesprochene Annahme, dass du solche Leute, solches Reden wie in diesem Film gar nicht kennst, weil… du offenbar in Grinzing wohnst oder deine Eltern Wirtschaftsjournalist*innen sind. Aber, hey, viele Leute haben Verwandte, Bekannte, Hausnachbar*innen, die rechtsautoritäre Politiker wählen: Haider oder Strache oder, wie die Kellnerin, Kurz (was die Rede von den “FPÖ-Fans” unterschlägt). Dass du dieses Milieu kennst (und ihm, ganz ohne Reimser Herkunfts-Scham-Romanbestseller-Pathos gesagt, entstammst), macht die Frage nicht leichter, wie du dich im Inland solcher Gesprächssituationen positionierst (oder es würdest)

Anmerkung

(*) Soll heißen: An was für ‘Orten’, auch ‘Gemeinplätzen’, und in was für Selbstbildverdrehungen muss dieses Gespräch verlaufen, damit der Tausch-Akt – Frisur und höfliche Bedienung gegen Geld – zwischen einem türkischen Frisör und einem ‘Ausländer-gar-nicht-Möger’, beide Wiener, ablaufen kann? – Was aber das Setting und Gestaltungskonzept dieser Szene betrifft: Erinnert sie nur mich an die kanonische “Frisörszene” von Shoah? Von dieser Assoziation her ließe sich Ulli Gladiks pragmatischer Fokus auf eigenlogische Wortabläufe mit Claude Lanzmanns auch puristisch aufgeladenem Dranbleiben an Redeprozessen vergleichen.

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Drehli Robnik

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