Das Buch „Schafft euch Schreibräume!“ ist ein Plädoyer für feministisches Schreiben, die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte und eine Ermutigung an alle, die gerne für sich oder andere schreiben. Virgina Woolfs Werk und Wirken dient dabei als Start- und Drehpunkt durch das Memoir von Judith Wolfsberger.
Virgina Woolfs Schreibraum als Startpunkt
Virginia Woolf ist so etwas wie die Schutzheilige der feministischen modernen Literatur. Sie inspirierte Frauengenerationen nach ihr, auch weil sie sich viel mit dem Schreiben und an sich und dem Aufbrechen der tradierten Rollenbilder beschäftigt hat. Mit ihren Werken bewegte sie sich über verschiedene Genregrenzen hinweg. Ihr Roman „Orlando“, der von einem Rollen- und Zeitwechsel zwischen einer Männer- und Frauenerzählfigur erzählt, als auch ihr Schreibmanifest „A Room of One’s Own“, worin sie das enge Korsett des (damaligen) Literaturbetriebs für Schriftstellerinnen offenlegt und die erforderlichen existenziellen Rahmenbedingungen für schreibende Frauen feststeckt, gehören zu den Standardwerken in jedem gut informierten Buchregal.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass Judith Wolfsberger, die sich seit vielen Jahren mit Schreibprozessen beschäftigt und in Wien das writer`s studio betreibt, sich mit Virgina Woolf auseinandersetzt. Die spezielle Form des Memoirs, die sie dazu wählt, ist es vielleicht schon. Das Genre des Memoirs ist LeserInnen oft wenig bekannt, obwohl einige sehr bekannten Bücher am Büchermarkt darunter fallen (z.B. “Nicht ohne meine Tochter” von Betty Mahmoody). Es sind persönliche Erzählungen in der Ich-Form geschrieben, die von Lebensgeschichten und Wendepunkten handeln. Also klassische Entwicklungsgeschichten. Sie werden oft von nicht prominenten Personen geschrieben und bilden keine klassische (Auto-)Biographie ab.
Schreiben ist überwindend und verbindend
Schreiben ist mehr, als Wörter zu Papier oder auf den Bildschirm bringen. Schreiben bedeutet immer ein Stück Überwindung und dient zur Beschäftigung mit sich selbst, zur Positionsfindung, zur Kritik und zum Sichtbarmachen von Themen. Texte verstehen es viel mehr Menschen zu erreichen über Zeit und Raum hinweg, als das Mündliche es jemals geschafft hat bzw. schaffen wird. Damit ist Schreiben auch immer politisch.
Das Schreiben setzt auf der individuellen Ebene innere Entwicklungen in Gange, unterstützt Reflexion und auch Bewältigung. Judith Wolfsberger legt in ihrem Buch einen Teil ihrer Entwicklung offen. Sie beschreibt ihre Positionsfindung zwischen ihren Rollen als Schreibtrainerin, Autorin und schreibende Tochter, Mutter und Freundin. Als Orte wählt sie immer wieder ihre Englandreisen, in denen sie aufs genaueste die Lebenswege und Lebensorte von Virgina Woolf abgeht, als auch das Therapiesetting, in dem sie sich mit familiären Schweigethemen auseinandersetzt. Die letzten beiden Kapitel knüpfen an Woolfs Vision für schreibende Frauen an und bieten auch Raum für wissenschaftliches Schreiben von Wissenschafterinnen.
Reibebaum ist immer die normierte Sicht auf schreibende Frauen. Wer darf überhaupt schreiben? Wie wird frau Autorin? Welche (inneren) kritischen Stimmen hindern uns, so zu schreiben, wie wir es gerne würden? Auch der Stellenwert des persönlichen und nicht fiktionalen Schreibens wird diskutiert.
Die durchgehende Vermischung aus Virgina Woolfs Werken und Tagebüchern und Judith Wolfsberger Erzählpassagen ist durch den Stellenwert, den Virgina Woolf für Wolfsberger einnimmt erklärbar, doch sind die direkten Vergleiche teilweise anmaßend und manchmal auch zu persönlich gewählt. Die Mischung aus Reisetagebuch, Bearbeitung der eigenen Familiengeschichte, Reflexion der Mutterschaft, Schreib- und Persönlichkeitsentwicklung sprengt de facto das Genre des individuellen Memoirs und ist viel eher eine collagierte Erzählung mit Woolf Überhang. Zuviel wird von Wolfsberger von Woolf ausgeborgt, ihre Geschichte ist nicht so aufgebaut, dass sie ohne Woolf funktioniert. Der nächste denkbare Schritt wäre auch textlich aus dem Woolfschen Schatten zu treten. Oder ein kollektives Memoir kann nicht nur von einer Person alleine geschrieben werden. Das führt auch schon zur nächsten Frage.
Wie kann kollektives Schreiben funktionieren?
Wenn wir von Tagebüchern einmal absehen, sind Texte immer auch für andere, aber schon seltener mit anderen geschrieben. AutorInnen entscheiden und wägen oft im Alleingang ab, welche Aspekte sie fokussieren und welche sie weglassen. Schreiben geschieht zunächst alleine, beginnt beim eigenen Gedankengang, der sich in Wörtern und Sätzen ausformt. Die Frage nach den gemeinsamen Schreibräumen, in denen Gedanken und Texte geteilt und diskutiert werden, ist eine sehr relevante, die das Buch am Ende aufgreift. Das beginnt bei den praktischen Fragen der AutorInnenschaft und Konkurrenz (wer hats erfunden?) und geht weiter zu Fragen der Zeit, des Zugangs auf Augenhöhe und der Kritikfähigkeit.
Das für andere Schreiben war immer schon politisch, das mit anderen Schreiben sollte noch stärker politisch werden.
Judith Wolfsberger: Schafft euch Schreibräume! Weibliches Schreiben auf den Spuren Virgina Woolfs. Ein Memoir.
Böhlau Verlag, März 2018
Link: Böhlau Verlag
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